ein Interview mit Paulus Schürmann Pädagogik

Lieber Paulus, heute unterrichtest Du Pädagogik im Ibrahim-Abouleissh-Kurs. Welche Aspekte sind Dir bei dem Thema Pädagogik wichtig?

Die Frage der Pädagogik ist für mich eine brennende, da sie sich stetig wandelt und gerade in unserer Gegenwart sicherlich deutlicher auf dem Prüfstand steht als noch gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Heute, in Zeiten eines erhöhten Bewusstseins für die eigenen Selbstbestimmungskräfte und die sehr individuellen Lernwege, wird sich aus meiner Perspektive eine Pädagogik nur bewähren können, wenn sie radikal vom Menschen her gedacht und praktiziert wird, anstatt von einem ideellen Schul- und Bildungssektor oder von einem Lehrer bzw. Meister her.
Pädagogisches Handeln ist eigentlich die Gestaltung von Umräumen, in denen sich Selbsterziehung zunehmend ereignen kann. Der Aspekt der Gestaltungsqualitäten dieser Umräume oder Umgebungen, die den Menschen in seiner jeweiligen biographischen Entwicklungslage nicht aus den Augen verliert, ist mir dabei besonders wichtig.

Was ist Dein Hintergrund? Was hast Du studiert und wie gehst Du an das Thema Pädagogik heran?

Wie vermutlich aus meinem ersten Gedanken herausklingt, komme ich aus dem Hintergrund einer intensiven philosophischen Auseinandersetzung mit Entwicklungs- und Bildungsfragen. Nach meinem Abitur bin ich als soeben volljährig gewordener Zivi den Weg in ein Camphill gegangen. Ein Weg, der mir einige lehrreiche Jahre und mich selbst dabei einigen Meistern entgegengeführt hat. Letztere waren vor allem die Kinder und Jugendlichen, die mich vor allem auf die Suche geschickt haben, herauszufinden, was Leben, was Krise, was Glück, was Individualität und was noch so vieles mehr ist. Diese Suche hat mich (unter vielem anderen) an eine Hochschule geführt, an der ich die Frage der Entwicklung in einem Bachelorstudium der frühen Kindheit deutlich zu stellen versuchte. Die Anliegen, die mich bewegten, entwickelten sich dann derartig weiter, dass ich an dem Gründungsimpuls einer Hochschule aktiv teilgenommen und dort Philosophie im Master studiert habe. – In diesem Zuge gehe ich heute an das Thema Pädagogik von drei Seiten heran. Einmal von der Philosophie und der Geistesgeschichte her; d.h. dass für mich Pädagogik eine sehr alte Thematik ist, die Menschen seit jeher bewegt und angeregt hat. Die zweite Herangehensweise gründet in meiner praktischen Tätigkeit als Lehrer und Teilhabeassistent an einer Rudolf Steiner-Schule. Sie ermöglicht es mir, aus alltäglichen pädagogischen Erfahrungen dasjenige was Pädagogik umspannt zu erleben, zu ergreifen und zu hinterfragen. Als drittes liegt zwischen diesen Herangehensweisen eine Art mittlere Tür, durch die ich an dieses Thema herangehe oder durch die dieses Thema auf mich zukommt. Es ist eigentlich und lediglich die offene Frage, die persönliche Berührung, auch Betroffenheit, Inanspruchnahme und Begegnung – eine Art Prüfstein; gar nicht so sehr die Ambition, gebildete Meinungen oder Urteile zu bewegen, sondern schlicht eine fragende Haltung einzunehmen, durchweg kritisch und offen mit dem Thema der Pädagogik umzugehen.

Heute war das Thema: „Begegnung auf Augenhöhe“. Kann „Augenhöhe“ gelernt werden? Wie üben das unsere Auszubildenden in Deinem Unterricht?

“Begegnung auf Augenhöhe” als ein Thema der Pädagogik ist glaube ich insbesondere eine Frage der inneren Haltung und der von solcher Haltung inspirierten Handlung. In meinen Seminaren zum Thema Pädagogik soll es 1. um ein sich Bewusstwerden der eigenen pädagogischen Haltung gehen. Dies bedarf einer Reflexion eines jeden Teilnehmenden auf sich selbst – auf eigene pädagogische Erlebnisse auf der einen Seite und auf das eigene pädagogische Tun auf der anderen Seite. Durch letzteres tritt manchmal zutage, was oft gar nicht so sehr Ideal eines Menschen ist, sondern vielmehr als eine Art Habitus wirkt. 2. bedeutet mir “Begegnung auf Augenhöhe” in einer Heilerziehungspflege-Ausbildung, dass wir in unseren Seminaren zunehmend gemeinsam Verantwortung für das Geschehen im Seminar übernehmen. Damit dieses möglich werden kann, möchte ich mich als Dozent immer wieder im Innehalten und Zurücknehmen üben, möchte Raum geben, Selbständigkeit im Seminar wach werden zu lassen – kurz: Selbstbildung in Gemeinschaft miteinander praktisch zu üben. 3. beziehe ich in den Seminaren zur Pädagogik die Praxis der Auszubildenden exemplarisch ein. Dadurch lässt sich manch idealer Gedanke, manche Abstraktion oder generelle Perspektive am konkreten Fallbeispiel erproben, erleben und vertiefen. Denn es wird immer die Frage sein: hat das Gelernte etwas mit der Wirklichkeit zu tun, ist es wirklichkeitsfähig? Es geht hierbei um eine Begegnung auf Augenhöhe von Theorie und Praxis, von Haltung und Handlung, von Idee und Wirklichkeit. Solche Begegnung findet immer im konkreten Moment statt und kann auch nur im konkreten Augenblick bewältigt und je und je anders gestaltet werden.

Wir danken dem Dozenten herzlich für dieses schriftliche Interview.