ein Interview mit Doris Schäfer und Astrid Winkelmann Freundschaft, Partnerschaft und Sexualität bei Menschen mit geistiger Behinderung
Was ist der Inhalt eures Seminars?
Welcher Aspekt ist euch besonders wichtig dabei?
Das Seminar nennt sich „Freundschaft, Partnerschaft und Sexualität bei Menschen mit Assistenzbedarf” und geht es um die im Alltag in den Einrichtungen immer wieder herausfordernden Themen: Beziehungen und Sexualität.
Dass dies eine hohe Komplexität besitzt, wird uns immer dann klar, wenn uns jemand nach dem Inhalt des Seminars fragt und nicht fassen kann, wie viele Aspekte es beinhaltet.
Es beginnt mit einer Annäherung an die Frage, was Sexualität ist und was Behinderung und dem Erkennen, dass man zwei Tabuthemen gleichzeitig vorliegen hat, die erfordern, dass man sich eingangs in erster Linie mit der eigenen Sexualbiographie beschäftigt und Normen und Werte hinterfragt.
Wir beleuchten die „Sonderpädagogischen Paradigmen“ im Zeitenstrom und klären die aktuelle Rechtslage mit Einbindung der BRK (Anm.: BehindertenRechtsKonvention).
Besonders wichtig ist uns dabei, darauf aufmerksam zu machen, wie der Paternalismus, also der Fürsorgegedanke, das stellvertretende Handeln für die Klientel, am wenigsten förderlich war und viel Entwicklung verhindert hat.
Zugleich darf den Menschen, die jahrzehntelang nicht mitentscheiden durften, nicht zu viel Autonomie zugemutet werden, was sie massiv überfordern würde.
Wir beschäftigen uns ausführlich mit der psychosexuellen Entwicklung nach Freud unter Einbindung des Ich -Modells nach Erik Eriksson und den Fördermöglichkeiten beim erwachsenen Menschen mit Hilfebedarf nach Dr. Barbara Senckel.
Aufklärung ist immer wieder ein Thema, wobei wir einen Film von profamilia zeigen und in das ganze Seminar Spiele einfließen lassen, in denen mit Spaß gelernt werden kann und die 1:1 mit den Bewohnern umgesetzt werden können.
Medienkompetenz ist zunehmend wichtig, gerade auch in Hinsicht auf pornographische Inhalte.
Verhütung, Kinderwunsch und Elternschaft sind ein großer Themenbereich.
Das Thema sexuelle Gewalt nimmt an Brisanz eher zu und so sollten die Seminaristen sensibilisiert werden und zusätzlich sicher sein, welche Art von Sexualassistenz sie von rechtlicher Seite aus leisten dürfen und was professionellen SexualbegleiterInnen überlassen werden muss.
Wir machen ein Planspiel „Normen und Werte“, indem eine Podiumsdiskussion mit verteilten Rollen stattfindet zum Erstellen eines sexualpädagogischen Konzeptes in einer fiktiven Einrichtung und bearbeiten Fallbeispiele, um eine gewisse Sicherheit in Alltagsentscheidungen zu erlangen.
Eine rege Beteiligung der Teilnehmer*innen ist uns wichtig – wir geben so viel Raum wie möglich für Wortmeldungen.
Diese Fülle ist in drei Tagen kaum zu bewältigen und wir können manchmal nur anreißen, um Interesse zu wecken und die wichtigsten Infos zu verankern.
Uns ist es durchgängig wichtig, den Seminaristen an vielen Beispielen zu vermitteln, dass es im Zusammenleben und Arbeiten mit Menschen mit Hilfebedarf um das Ernst nehmen und um Transparenz geht und dass die Gefahr, die erwachsenen Menschen zu infantilisieren, groß ist.
Also immer wieder: was ist Selbstbestimmung? Wie kann sie gefördert werden?
2. Wie seid Ihr zu Eurer Zusammenarbeit zu dem Thema gekommen?
Wir beide haben 2014 unseren HEP-Abschluss am Campus absolviert und als die Nachfrage kam, ob wir Lust auf eine kleine Dozentenstelle hätten, sofort zugesagt.
Damals gab es noch das Seminar von Wolfgang Dahlhaus zu dem Thema und wir wussten in welch große Fußstapfen wir treten würden, haben die Aufgabe mit großem Respekt übernommen und wurden von Herrn Dahlhaus großzügig mit all seinen Lerninhalten versorgt. Dafür sind wir ihm bis heute dankbar.
3.Was sind Fragen, die von den Seminaristen an Euch herangetragen werden?
Fühlen sich die jungen Erwachsenen dem Thema gewachsen?
Es gibt keinen der genannten Bereiche, die nicht von Fragen geflutet werden. Der Bedarf ist ungebrochen groß, da die Thematik nach wie vor im Alltag der Einrichtungen nicht die erste Priorität hat und sexualpädagogische Konzepte als Basis für eine gute Arbeit noch längst nicht überall vorliegen.
Die jungen Menschen sind, genauso wie diejenigen, die berufsbegleitend die Ausbildung machen, hochinteressiert und können mit erstaunlichem Hintergrundwissen aufwarten. Sie beobachten und kommentieren den Umgang ihrer Einrichtungen mit dem Thema Sexualität sehr genau und treffen die „wunden Punkte“ ohne Umwege. Sie sind erfreulich sensibilisiert für die Umsetzung der vielzitierten Teilhabe der BRK und sehen einen hohen Bedarf an Einsatz durch die Bezugsbetreuer.
4.Was erlebt Ihr als Perspektive für Paare in der Behindertenhilfe?
Wo seht Ihr die Entwicklung der Paarbegleitung?
Nach Jahrzehnten des Wegleugnens von tragenden Paarbeziehungen in den Einrichtungen scheint nun endlich angekommen, dass die Menschen mit Hilfebedarf ein gewachsenes Selbstbewusstsein an den Tag legen und sich als Paar nicht mehr verstecken müssen, ihre Sexualität leben dürfen.
Natürlich ist dieses Feld ein weites und immer mit neuen Herausforderungen versehen – oft geht es in alle möglichen, von den Bezugsbetreuern teilweise mit Ratlosigkeit betrachteten Richtungen.
Genau die Ratlosigkeit, mit der wir oft unsere eigene Sexualität betrachten :)
Es geht schließlich um einen Trieb, der meist anarchisch seine Rechte einfordert und nicht etwas leicht zu zähmendes und Betreuerfreundliches.
Wir hoffen, dass die gute Entwicklung weitergeht und die Angehörigen und Bezugsbetreuer, die sich ausführlich mit dem Thema beschäftigen und fortbilden sollten (Angebote der Einrichtungen!!!) schön lebendig hält.
Wenn wir dies verinnerlichen, können alle nur profitieren.
Wir danken den beiden Dozentinnen herzlich für dieses schriftliche Interview.