Heilerziehungspfleger profitieren von Schauspiel-Erfahrungen
Alles Theater?
Von „Schlüsselqualifikationen“ ist oft die Rede, wenn es um Erfolg im Job geht – wie man sie erwirbt, das ist eine ganz andere Frage. Die Fachschule Campus am Park in Stockhausen im Vogelsberg setzt bei der Heilerziehungspflege-Ausbildung unter anderem aufs Theaterspiel, um Selbstbewusstsein und Einfühlungsvermögen ihrer Seminaristen zu fördern.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich das kann“ – so oder so ähnlich lautete das Fazit bei vielen Teilnehmenden, nachdem sie im vergangenen Februar zusammen mit ihren Kommilitonen ein komplettes Theaterstück auf die Beine gestellt hatten. Bereits seit über 20 Jahren bildet die Fachschule Campus am Park junge Menschen zum Heilerziehungspfleger aus. Bei der praxisintegrierten Ausbildung für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung wird viel Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz gelegt, weshalb es nicht nur um Fachwissen geht: Auch künstlerische Tätigkeiten stehen auf dem Lehrplan.
Eine feste Größe stellt dabei das Erarbeiten eines Theaterstücks dar. Im zweiten Ausbildungsjahr wählen die Seminaristen ein Stück aus, das sie in einer intensiven, rund zweiwöchigen Probenzeit erarbeiten und zur Aufführungsreife bringen. In diesem Jahr entschieden sie sich für die Komödie „Das Haus in Montevideo“ von Curt Goetz (1888-1960). Betreut und geleitet hat das Theaterprojekt Almut König. Die Schauspielerin, Regisseurin und Theatertherapeutin profitiert von langjährigen Erfahrungen im pädagogischen Bereich und hat mehrere Theaterprojekte geleitet, bei denen Menschen mit und ohne Behinderung aufgetreten sind. Schon bei der Begrüßung der neuen Ausbildungsjahrgänge, die jedes Jahr im September stattfindet, gestaltet sie die ersten beiden Kennenlern-Tage mit Improvisationsübungen und Schauspielelementen. „Das hilft den Seminaristen beim Ankommen und Kennenlernen“, hat die Dozentin festgestellt.
„Es passt sehr gut, dass das Theaterprojekt zentral in der Mitte der drei Ausbildungsjahre steht“, findet sie. „In dieser Phase hat sich die Gruppe schon gut zusammengefunden, und obwohl man sich kennt, hat man nun doch die Möglichkeit, einander noch einmal neu wahrzunehmen und diese komplexe Aufgabe nun zusammen zu bewältigen.“ Vor der eigentlichen Probenzeit hatten die Auszubildenden schon einige Doppelstunden lang Zeit, mit Sprech- und Improvisationsübungen ins Theaterspiel einzutauchen.
„Es geht dabei nicht nur um ein tolles Gruppenerlebnis, obwohl auch das zustande kommt“, betont König. „Noch wichtiger aber ist aus dem professionellen Blickwinkel die Tatsache, dass die Seminaristen hier wichtige Impulse für ihren späteren Beruf mitnehmen.“ Was oft etwas nebulös als „Schlüsselqualifikationen“ bezeichnet wird, kann in einem solchen Projekt ganz handfest erlebt werden: die Fähigkeit zur Teamarbeit etwa, gut miteinander zu kommunizieren, Kreativität zu entwickeln oder auch Konfliktfähigkeit zu beweisen. Nicht jeder Mensch ist der geborene Bühnenstar – viele müssen sich ganz schön überwinden, um vor Publikum zu spielen. Wenn man es dann geschafft hat, sind der Stolz der Gruppe und das Selbstbewusstsein des Einzelnen umso größer. „Das ist natürlich ungeheuer wertvoll für die Persönlichkeitsentwicklung“, ist sich König sicher.
Auch Schulleiter Pierre Haas ist vom Mehrwert des Projekts überzeugt: „Unsere Seminaristen besuchen während der gesamten Ausbildung verschiedenste künstlerische Kurse, in denen sie Gelegenheit haben, kreative Erfahrungen zu machen – sei es in der Malerei, beim Plastizieren oder eben beim Theaterspiel“, erklärt er. „Wir Dozenten, aber auch die Auszubildenden selbst erleben das als ungeheuer bereichernd.“ Beim Erarbeiten ihrer Rolle erfahren die Seminaristen nicht nur viel über die von ihnen gespielte Figur, sondern auch über sich selbst. Wie beherrsche ich meinen Körper? Welche Gefühle habe ich dabei? Welche Gedanken mache ich mir über meine Rolle? Man kann an sich selbst, aber auch an den Kommilitonen neue Seiten entdecken und die eigene Wahrnehmungsfähigkeit schulen.
Gerade für Mitarbeitende in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung ergeben sich daraus wichtige Erfahrungen. „Beim Schauspielen sind wir auch auf der körperlichen Ebene voll und ganz gefordert. Das kann unser Verständnis für andere Menschen vertiefen, auch für solche, die vielleicht mit einem körperlichen Handicap leben“, erläutert König. So ist das Schauspielen eben doch auch eine fachliche Qualifikation – auch wenn es vielleicht nicht auf den ersten Blick danach aussieht.